Als Parallele zur neuen Chansonbewegung der Waldecker Zeit mit ihrer festen Verankerung in Studenten- und Friedensbewegung einerseits, auf dem allgemeinen Musikmarkt andererseits entwickelt sich zu Beginn der 70er Jahre das sogenannte (Deutsche) Folk-Revival. Das Folk-Revival kennzeichnet eine verstärkte Beschäftigung mit dem deutschen Volkslied und mit schon bekannten Formen internationaler Folkore. Gruppen wie Elster Silberflug, Ougenweide und Zupfgeigenhansel treten mit Volksliedprogrammen auf den Plan. Hannes Wader, der in dieser Zeit die Öffentlichkeit ebenfalls mit einer reinen Volksliederplatte überrascht , ist ein Beispiel für die enge Verbindung von Folk-Revival und Liedermacherszene. Wader hatte allerdings bereits zur Waldeck-Zeit die zunächst paradox anmutende Bezeichnung „Eigene Volkslieder“ für seine Lieder erfunden . Tom Kannmacher wird als Drehleierspieler richtungweisend für die breite Beschäftigung mit alten Instrumenten.
In beinahe allen größeren Städten entstehen Folkclubs unterschiedlicher Spezialisierung, in denen Liedermacher und Folk-Revivalisten auftreten, Workshops und Diskussionen veranstalten, sich treffen und arbeiten. Die entstehenden Folkclubs werden in den 60ern und 70ern als eine wichtige Errungenschaft der Gegenkultur in der Folge der 68er empfunden .
Das Folk-Revival ist keine in sich abgeschlossene Bewegung; es hat eine sehr große Schnittmenge mit der aktuellen Liedermacherszene und entwickelt sich parallel. In jedem Falle sind viele Liedermacher durch ihre Beschäftigung mit Volksliedern „Folk-Revivalists“, manche Revivalists dagegen auch Liedermacher. Immerhin dominieren die Liedermacher eines politischen Selbstverständnisses das Folk-Revival so weit, dass „unpolitische“ Gruppen unter dem Namen „Happy Folk“ heftigen Angriffen ausgesetzt sind . Auch für das Folk-Revival besteht die Gefahr einer politischen Fraktionierung:
„Die Folkszene scheint wieder politischer zu werden. Die Überzeugung macht sich breit, daß man mit Liedern etwas erreichen kann. [… Es] besteht die Gefahr, daß die Politisierung im Fragmentarischen stecken bleibt – wie damals auf der Waldeck.“ (Barbara James)
Dialektszene
Das Folk-Revival bringt eine breite Beschäftigung mit Dialekten mit sich. Viele Liedermacher entdecken die Dialekte ihrer Heimatregion als verschüttete Tradition wieder und beginnen, Dialektlieder zu schreiben. Im Elsaß ist es Roger Siffer, in Baden Walter Mossmann, in Bayern Biermösl Blosn. Am Niederrhein macht sich Günter Gall in diversen Formationen (Mulwerk, Fukkepott, Düvelskermes) um Sprach- und Liedgutpflege verdient, im plattdeutschen Raum Hannes Wader und Helmut Debus und im „Kohlenpott“ Frank Baier, um nur einige Exponenten zu nennen.
Viele der neuen Dialektsänger arbeiten nebenher auf Hochdeutsch, um auch einem größeren Publikum „verständlich“ zu bleiben. Ein so dauerhafter Erfolg wie den Kölner Gruppen BAP und Bläck Föös, die beide schon in den 70er Jahren erste Auftritte bestreiten, ist kaum einem Dialektsänger beschieden. Trotzdem ist die Dialektszene ein wichtiger, wenn auch eher regional wirkender Bestandteil der Szene.
Die „Neuen Volkssänger“
Bei der Blüte von Liedermachern und Sängern von internationaler Folklore und deutschen Volksliedern wird relativ rasch auch die Frage gestellt, ob dieser verbreitete Typ jetzt der neue „Volkssänger“ sei. Es ist anders formuliert die Frage, ob der Traditionsbruch in der eigenen Liedgeschichte und im Verhältnis zum Lied mit Folk-Revival und Liedermacherszene beseitigt wäre. Die Frage kann weder bejaht noch verneint werden. Zwar ist die breite Rückbesinnung und Erneuerung nicht zu leugnen, doch hat die „Folkmusik“ neuer Prägung einen beträchtlichen Formwandel hinter sich. Die Tatsache, dass es meist einzeln auftretende Sänger oder kleinere Gruppen sind, die Exponenten des Volksliedes werden, bewirkt eine Identifikation des Liedgutes mit seinen Interpreten. Es gibt folglich kaum Lieder der Liedermacherszene, die ohne ihren Schöpfer lebensfähig sind (siehe Punkt 2.2.2.).
Auch dem unveränderten, alten Volkslied geht es nicht anders. Bernhard Lassahn stellt fest:
„Die Stars des neuentdeckten deutschen Volksliedes, Wader und Zupfgeigenhansel, sorgen für die Verbreitung der Lieder, und sie sorgen gleichzeitig für eine Verschlankung des Sängerangebots: Der Erfolg, den die Stars haben, geht den Nichtstars ab, es gibt dann nicht mehr eine Szene von Volksliedsängern, sondern es gibt dann den Volksliedsänger.“
In einem im gleichen Jahr veröffentlichten Artikel merkt Lassahn an, daß das Folk-Revival in Deutschland ähnlichen Abgrenzungswünschen unterliegt wie die antibürgerliche Bewegung der 60er. Er konfrontiert den „Volkssänger“ Hannes Wader mit dem „Volkssänger“ Heino, um sarkastisch festzustellen, daß Heinos Publikum tatsächlich vorwiegend proletarisch sei, die Anhänger Waders aber einem kleinbürgerlichen Milieu entstammten .
Es tun sich in der Frage nach dem neuen „Volkssänger“ verschiedene Paradoxa auf: zunächst führt das Abgrenzungsbedürfnis des Folk-Revivals gegen die kommerzielle „Volksmusik“ à la Heino auch zu einer Abgrenzung gegen das „Volk“ (für Lassahn: die Proletarier), zum anderen herrscht unter den betreffenden Sängern eine gewisse „Proletariophilie“ (Stählin); schon auf der Waldeck hatte sich gezeigt, daß der Wille, „proletarisch“ zu sein zwar hehres Ideal war, indes aber die Begegnung mit dem Proletariat selber kaum möglich war. Fritz Rumler beschreibt das paradoxe Verhältnis im treffenden Bild: „[…] das Phantom Arbeiter umwerben sie wie eine frigide Geliebte“ .
Ausschnitt eines längeren Textes von Philipp Schmidt-Rhaesa , Teil seiner Examensarbeit zum Thema „Fort- und Weiterbildung bei deutschen Liedermachern“, verfasst 1996. Auch wenn manches bruchstückhaft bleibt, so wird z.B. nur über die westdeutsche Liedermacherszene geschrieben, ist es dennoch ein gelungener Überblick über die Liedermacher-Szene in der BRD von 1945 bis in die 1990er Jahre.