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80er Jahre

Krise

Das Jahr 1986 markiert in vielerlei Hinsicht ein Schlüsseljahr. Anläßlich der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl erklärt Dieter Süverkrüp, er werde nicht mehr als Liedermacher auftreten. Das persönliche Liedschaffen und die Möglichkeit, mit Liedern etwas zu bewirken, sei durch eine Katastrophe dieses Ausmaßes geradezu ad absurdum geführt worden .

Die Liedermacher selber bekommen Schelte aus berufenem Munde. Wolfgang Neuss, der ungekrönte König des bundesrepublikanischen Kabaretts und als „Mann mit der Pauke“ auch Vorbild früher Liedermacher (Schwendter), setzt in der taz eine folgenschwere Polemik gegen seine Kollegen ab:

„In unseren Breitengraden ist Liedermachen eine Ausrede für keinen Witz haben, keinen Esprit verbreiten, blöde sein, stur sein, Rhythmus halten, Ideologie nicht verplanschen […] Im Grunde, grad Pfingsten fiel es mir wieder auf, sind vor allem die deutschzungigen Liedermacher Totalversager, eine brachliegende Marktlücke für gepfefferten Witz und hinterfotzige Melodie. […] Was soll man von 1986iger Liedermachern erwarten, die schon in der APO Zeit vermieden, witzig zu sein, Humor zu verstrahlen, die von Walther von der Vogelweide nie weggekommen sind und ihr „Haupt voll
Blut und Wunden“ zwitschern müssen?“

Anlass ist auch hier der Reaktorunfall in der UdSSR, auf den nach Neuss‘ Ansicht nicht richtig reagiert wurde. Dafür reagiert die Szene umso heftiger auf Neuss‘ Vorwürfe. Das einschlägige Musikblatt erhält zahlreiche Zuschriften, in denen sich Liedermacher verteidigen. Das Spektrum reicht vom empörten Protest über ironische Selbstdarstellungen bis hin zu offensichtlich ernst gemeinten „Gegenbeweisen“:

„[…] hätte die TAZ […] mein beiliegendes Lied ‚Neue Schnüffelgesetze‘ im April d. J. abgedruckt und nicht zurückgewiesen, wer weiß, der Neuss hätte seinen Artikel nicht geschrieben…“

Doch auch ein Artikel unter der Überschrift „Ich war Liedermacher“ spricht eine deutliche Sprache.

1986, über 20 Jahre nach den ersten Waldeck-Treffs, werden Liedermacher in der Öffentlichkeit und von wissenschaftlicher Seite kaum noch unverzerrt wahrgenommen. Günther Mayr etwa veröffentlicht in diesem Jahr eine Studie über „politische Aspekte in den Texten deutscher Liedermacher“ , die zu dem interessanten Schluss kommt, dass es damit nicht weit her sei. Seine Untersuchungsgrundlage zeigt deutlich die Fehlinterpretation der Gruppe „Liedermacher“. Zur Bewertung zieht er nur diejenigern heran, die unter seine persönliche, nicht ausgeführte Definition „Liedermacher“ fallen und dabei mindestens eine LP unter den 50 best verkauften eines Jahres in Deutschland hatten: Bap, P. Cornelius, G. Danzer, DAF, Nina Hagen, Ideal, U. Lindenberg, R. Mey, M. Müller- Westernhagen, Spider Murphy Gang. Eine solche Fehlleistung eines renommierten Publizisten kann nur auf einem allgemeinen Profilverlust der Liedermacher beruhen. Die Öffentlichkeit scheint zwar viele „Liedermacher“ zu kennen, aber kaum zu wissen, was ein „Liedermacher“ ist und welches Konzept er verfolgt.

Bis zum Ende der Jahrzehnts nimmt die Intensität der AG-Song-Arbeit stetig ab. 1986 kommt kein Treffen zustande, erst wieder 1988, und schließlich 1994. Es scheint, als hätte die Liedermacherszene neben ihrer öffentlichen Anerkennung und der Publikumsgunst auch ihre eigene Kraft verloren.

Heutige Situation (1996)

Die Hauptauswirkung der Krise der Liedermacher ist eine immense Verkleinerung der Szene. Sehr viele Liedermacher orientieren sich um, gehen in Berufe und hören auf, öffentlich zu singen. Nur ein sehr kleiner Teil der AG Song-Liedermacher kann heute noch hauptberuflich von Kleinkunst leben. Die Konkurrenz hat sich aber eher verschärft. Sehr viele von den Folkclubs der 70er Jahre sind eingegangen oder haben sich kommerzialisiert. Dadurch kommt es zu einer Konzentration auf den jeweiligen Publikumsgeschmack.

Die Kulturetats von Städten und Gemeinden verschlechtern die Auftrittsmöglichkeiten genauso. Die Verpflichtung, Kosten deckend zu arbeiten führt dazu, dass in subventionierten Kultureinrichtungen weniger Konzerte, dafür aber mit bekannteren Namen veranstaltet werden.

Die meisten noch aktiven Liedermacher helfen sich, indem sie Nischen im Kulturbetrieb beziehen, in denen sie sich notdürftig einrichten können (Literaturprogramme, literarisches Kabarett, Schriftstellerei, Dialektprogramme).

Dennoch: das derzeitige „Marktverhalten“ des Publikums schließt eine Renaissance der Liedermacher unter bestimmten Bedingungen nicht aus: anspruchsvolle Texte (auch) politischen Inhalts werden weiterhin akzeptiert (siehe etwa die ungebrochene Popularität von Herbert Grönemeyer und Heinz-Rudolf Kunze), deutsche Texte werden, entgegen aller Unkenrufe, auch und besonders von der jüngeren Generation akzeptiert und konsumiert (Gruppen wie „Die Fantastischen Vier“, „Die Prinzen“ und „Pur“ fahren Höchstgewinne bei großen Plattenfirmen ein, füllen große Hallen und sind in den Medien quasi omnipräsent). Auch schwappt seit Jahren eine gewinnträchtige „Unplugged“-Welle durch den Musikmarkt, die akustische Musik repopularisiert.

Die Sorge, der aktuelle kommerzielle Musikmarkt zerstöre jegliche Chance auf eine Wiederkunft des „handgemachten“ Chansons, ist also nur zum Teil begründet. Dennoch bestehen weiterhin einige Bedingungen, um „Liedermacher“, Chanson, Texte mit Anspruch und akustischer Minimalform wieder populär zu machen. Es sollte intensiv nach den Gründen für die Modehaftigkeit der „Liedermacher-Bewegung“ einerseits gesucht, andererseits versucht werden, die auf Dauer abstoßenden Elemente der früheren Kunstauffassung und Kunstausübung durch gezielte Fortbildung zu entziehen. Dabei können die bisher gemachten Erfahrungen mit Bildungsmaßnahmen wichtig sein.

Gerade auf dieser Ebene bewegt sich in diesen Tagen einiges. Der bundesweit agierende Verein Profolk gründet am 16.2.1996 einen Arbeitskreis Lied/Chanson, in dem zusammen mit großen Verbänden wie dem Deutschen Musikrat und dem Rundfunk zusammen nach neuen Möglichkeiten für das Lied gesucht werden soll. Auch innerhalb der AG Song herrschen derzeit Bestrebungen, sich neu zu organisieren und wieder präsenter zu werden . Daneben arbeitet Christof Stählin in seiner Nachwuchsschule SAGO seit Jahren erfolgreich mit jungen Künstlern aus der ganzen Bundesrepublik. Auch startet das rheinland-pfälzische Ministerium für Kultur derzeit ein Pilotprojekt, in dem junge Talente gerade auf dem Gebiet Lied/Chanson gefördert werden sollen.

Ausschnitt eines längeren Textes von Philipp Schmidt-Rhaesa , Teil seiner Examensarbeit zum Thema „Fort- und Weiterbildung bei deutschen Liedermachern“, verfasst 1996.  Auch wenn manches bruchstückhaft bleibt, so wird z.B. nur über die westdeutsche Liedermacherszene geschrieben, ist es dennoch ein gelungener Überblick über die Liedermacher-Szene in der BRD von 1945 bis in die 1990er Jahre.