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Zensur

Wenn wir geneigt sind, anzunehmen, es habe in der Bundesrepublik mit ihrer immer beschworenen, grundgesetzlich garantierten Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit keinerlei Zensur gegeben, so unterliegen wir einem fatalen Irrtum. Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (den privaten Rundfunk können wir im Blick auf die 60er und 70er Jahre ausklammern) stattet die großen Sendeanstalten von politischer Seite mit „amtlichen“ Vollmachten aus; sie sind „Anstalten öffentlichen Rechts“ und unterliegen damit staatlicher Aufsicht, Förderung und Regelung . Eingriffe in Sendungen satirisch-kritischer Art sind aufgrund dieser staatlichen Komponente immer auch Geschwister politischer Zensur. Die Kabarettistin Hannelore Kaub spricht 1967 bereits statt von Zensurmaßnahmen „von oben“ von den „kleinen grauen Männchen“, die an den entscheidenden Stellen für freiwillige Zensur sorgen. Gemeint sind diejenigen Redakteure und Abteilungsleiter, die im vorauseilenden Gehorsam fortgesetzte Selbstzensur üben. Nicht nur der Rundfunk, auch politische und Verwaltungsorganisationen, und in einem Fall sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund beteiligen sich an Maßnahmen gegen Kabarettisten. In den meisten Fällen wird hier die Ausstrahlung bereits vertraglich vereinbarter Sendungen, oft sogar fertiggestellter Sendungen, unterbunden.

Die Liste solcher Zensurmaßnahmen ist lang und hier nur ausschnittsweise wiedergegeben :

  • 1965: Der NDR streicht eine Produktion der Kabarettsendung „Hallo Nachbarn“, ein anderes Mal kürzt er sie unangekündigt um 30 Minuten.
  • 1966: Wolfgang Neuss wird in der Folge einer Anzeigenaktion gegen Proamerikanische Berichterstattung über den Vietnamkrieg von allen Berliner Zeitungen boykottiert.
  • 1967: Eine Nummer des Rockkabaretts „Floh de Cologne“, das auch in der Liedermacherszene außerordentlich beliebt ist, wird aus einer Aufzeichnung der Essener Kabarettage herausgeschnitten.
  • 1968: Der WDR setzt einen Vertrag mit „Floh de Cologne“ nachträglich ab. Der Hessische Rundfunk verlangt erstmals die vorherige Vorlage von Volker Kühns Kabarettsendung „Bis zur letzten Frequenz“ über den Höhepunkt der Studentenunruhen. Als Kühn ablehnt, wird die Sendung abgesetzt.
  • 1970: Radio Bremen kündigt nachträglich einen Vertrag mit „Floh de Cologne“
  • 1971: WDR-Programmdirektor Peter Scholl-Latour streicht eine fertige Sendung mit „Floh de Cologne“, WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer streicht eine geplante Produktion. Die Autoren der SDR-Kabarettsendung „Heiße Sache“ (u.a. Hüsch, Kaub, Kühn, Neuss und Süverkrüp) kündigen ihre Mitarbeit nach der Entfernung ihres zuständigen Redakteurs von der Sendung mit dem Hinweis auf Zensurmaßnahmen.
  • 1974: „Floh de Cologne“ wird trotz Vertrag von den „Jugendtagen der Stadt Frechen“ wieder ausgeladen
  • 1975: Dietrich Kittner wird trotz Vertrag in Stade ausgeladen. Die Bezüge für sein Theater werden auf Intervention der CDU im nds. Landtag gekürzt und 1979 ganz gestrichen. Sein Protestgesang vor dem Ministerium wird heimlich mitgeschnitten. Die Stadt Passau verbietet die Aufführung eines Stückes von Siegfried Zimmerscheid.
  • 1977: Julian Beck wird wegen „Verunglimpfung des Staates“ auf dem Münchner Theaterfestival verhaftet.
  • 1978: Der NDR streicht Degenhardts „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ aus einer Sendung. Der DGB setzt sich gegen die Songgruppe „Schmetterlinge“ ein; der SFB sagt daraufhin eine vereinbarte Sendung ab.
  • 1979: Der WDR untersagt Wolf Biermann einen Auftritt in seiner Jugendsendung (Biermann: „Ich fühle mich schon ganz wie zu Hause“) . Der SDR streicht die Sendung „Prüfe deinen Nächsten wie dich selbst“ nach der Fertigstellung. Henning Venske wird als Autor einer Kabarettsendung im Hessischen Rundfunk wegen „Überschreitung des Freiraums für Satire“ seines Postens enthoben. Das ZDF streicht unabgesprochen Teile aus einem Programm von Gerhard Polt. Dieter Hildebrands satirisches Magazin „Notizen aus der Provinz“ wird vom ZDF abgesetzt.
  • 1980: Das ZDF schneidet einen Biermann-Song über Carl Carstens weg.
  • 1986: Der Bayrische Rundfunk untersagt die Sendung von Christof Stählins Programm „Liebt denn keiner die Bundesrepublik?“ aus der Münchner Lach- und Schießgesellschaft wegen einer angeblich missverständlichen Äußerung .

Dies sind, wie gesagt, nur die bekanntesten Fälle. Es kann mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden. Die Liedermacherszene nimmt an diesen Skandalen intensiv teil; „Floh de Cologne“, die am häufigsten zensurierte Gruppe, ist in Liedermacherkreisen bekannt und beliebt. Die Erfahrungen von Degenhardt, Biermann, Süverkrüp, Hüsch, Kittner und Stählin werden in der Szene diskutiert.

Konstantin Wecker erkennt 1978: „Man merkt mit der Zeit, dass eine nie ausgesprochene Zensur einfach da ist. Man spürt auch, dass man eine gewisse Alibi-Funktion erfüllt. […] Unsere ganz subtile Form des Wegs zum Faschismus funktioniert über die Medien […]“

Eine weitere schwierige Rolle nimmt der Radikalenerlass ein, nach dem es möglich wird, kommunistisch aktive Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst zu entlassen bzw. gar nicht einzustellen. Die Reaktionen der Szene darauf sind vielfältig, da sie zu einem Großteil aus potenziell oder tatsächlich Betroffenen besteht.

Ausschnitt eines längeren Textes von Philipp Schmidt-Rhaesa , Teil seiner Examensarbeit zum Thema „Fort- und Weiterbildung bei deutschen Liedermachern“, verfasst 1996.  Auch wenn manches bruchstückhaft bleibt, so wird z.B. nur über die westdeutsche Liedermacherszene geschrieben, ist es dennoch ein gelungener Überblick über die Liedermacher-Szene in der BRD von 1945 bis in die 1990er Jahre.