Ein erster Text aus dem bis an die Oberkante gefüllten Archiv von Frank Baier, aus dem hier auf chanson.de nach und nach einige besondere Geschichten erscheinen sollen, in denen es um Lieder geht, ihre Wege, von der Idee bis zu dem Moment, wo sie ihr Publikum finden und ihre Wirkung entfalten:
Die Liebe – der Mensch – die Revolution –
Text: Hugo Ernst Käufer, Musik. Frank Baier
„Ach was, die haben mich doch einfach mitgeschleppt. Ich war doch nur der Liedermacher. Ich durfte singen, wenn die großen Literaten ihre Lesungen machten. Naja, das war doch auch praktisch. Nur Texten zuzuhören wurde manchmal `n bischen anstrengend für das „arbeitende“ Publikum. Ja klar, das waren doch die „Arbeiterliteraten“ und ich war der absolute Frischling: Max von der Gruen, Josef Reding, Lilo Rauner – große Namen für mich. Ich hatte doch von der Literatur keinen blassen Schimmer. Und dann die Malocher-Literaten wie Richard Limpert, Josef Büscher , Kurt Küther und so .. – da war ich schon besser aufgehoben – so`n Werkstoffprüfer – Lehrling ausse Krupp-Gießerei, der da mit seiner Klampfe hinterher zockelte und Rother-Texte sang.“ So fing das alles an.
Und dann diese ganz alten Seilschaften aus der „Gruppe 61“ von Armin Kerker und Hugo Ernst Käufer u.a. – mit ihrem „arbeitenden“ Schriftsteller Günther Westerhoff, der auch schon mal hinreißend sein Bandoneon zum Klingen brachte und damit sogar klassische Werke spielte. Der brachte mich zum Staunen – Püttrologe von „Zeche Rosenblumendelle“ – später unter Lebensgefahr in der „Grubenwehr“ – und der hatte echte Geschichten drauf.
Der brauchte da am Schreibtisch nichts konstruieren und aus dem Kreuz drücken, der quoll über vom Leben. Wenn Günther von seinen Marathon-Läufen durch die russische Steppen als versprengter Soldat auf der Suche nach seinen Truppeneinheiten erzählt, gab es kein Halten mehr. Ein wunderbarer Literat und Mensch.
Freund Armin Kerker war die Initialzündung mit seinen Madagaskar-Eskapaden – meistens in Afrika unterwegs und gut befreundet mit Hugo E. Käufer, mit dem er in ständigem Briefkontakt stand und ihn so auch mit einbezog, nachdem ich den Käufer-Text „die Liebe – der Mensch – die Revolution“ zuhause vertont hatte.
„ .. als ich schließlich nach Madagaskar flog, hatte ich das gesamte Material der gerade entstehenden Platte („Auf der Schwarzen Liste“- Frank Baier) in der Tasche, die nicht zufällig mit dem gesungenen Käufer-Text enden sollte. Von Madagaskars Hauptstadt Antananarivo schickte ich den Plattentext; Gedanken und Notizen aus dem weit entfernten Ozean, in deren Mittelpunkt „Die Liebe – der Mensch – die Revolution“ stand. Es schien mir die gültige Umsetzung des politischen wie poetischen Kredos des Nicaraguaner Ernesto Cardenal zu sein, der soeben den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen und in seiner Rede bei der Verleihung hervorgehoben hatte, dass die Revolution Liebe und (auch christliche ) Liebe Revolution heiße, man sich in deutschen Landen allerdings bereits vor dem bloßen Wort fürchte.
Dieses Land, in dem Vokabeln wie Liebe und Revolution für Terrorismus bedeuteten, hatte ich verlassen. Das Land, in das ich kam, die Sozialistische Republik Madagaskar, ging mit dem Wort Revolution in geradezu inflationärer Weise um. Das Wort Liebe jedoch hatte man in das Wörterbuch der Konterrevolution verbannt… Ich begriff auf einmal, dass Hugo Ernst Käufers Gedicht, dessen Wurzeln in Nicaragua lagen und über dessen Aussage als Lied wir im Ruhrgebiet diskutiert hatten, hier in Madagaskar eine ganz anderen Stellenwert besaß, eine ganz andere Brisanz bekam, ja geradezu poetischer Sprengstoff war. …“ (Armin Kerker)
Armin Kerker holte den madegasischen Liedermacher Tselonina – aus den monatelangen Studentenstreiks – nach Deutschland zum WDR und in Köln treffen sich Frank Baier und Tselonina und machen gemeinsame Konzerte.
Ein Jahr später lud A. Kerker den Liedermacher Frank Baier nach Antananarivo, um dort mit Tselonina und anderen madegasischen Musikgruppen zwei gemeinsame mehrstündige WDR- und RTM- (Radio Television Madagakar) – Konzerte zu geben.
Voraussetzung waren nicht nur die Diskussionen und der Ideenaustausch sondern auch die madegassische Übersetzung des Baier-Liedes von Hugo Ernst Käufer durch den Freund Tsilavina Ralaindimby, der sofort die explosive Kraft dieses Textes spürte und mit wahrem Feuereifer an eine adäquate madegassische Version machte. Der Musiker Tselonina übte derweil nach der Vorgabe von Frank Baier die musikalische Begleitung dazu.
Als wir schließlich im Januar 1983 im „Cinama Kanto“ vor Tausenden Madegassen aus der Hauptstadt Antananrivo „Die Liebe – der Mensch – die Revolution“ dreisprachig, auf deutsch, madegassisch und französisch vortrugen, herrschte in dem ansonsten turbolenten Saal absolute, angespannte und betroffene Stille, die sich erst am Schluß in tosenden Beifall entlud. Lied und Text hatten ihr neues (eigentliches ? ) Publikum gefunden. Das madagassische Fernsehen und der Rundfunk, die die Konzerte aufzeicheneten und seitdem bis heute etwa fünfmal ausgestrahlt haben, sorgten dafür, dass dieses Publikum nicht auf die Metropole beschränkt blieb, sondern die ganze „große Insel“ miterfaßte.
Hugo Ernst Käufers Gedicht steht seitdem jeden Morgen am Anfang des Programms im madegassischen Rundfunk, und das sozialistische Magagaskar verbindet Revolution nun auch mit dem Wort Liebe, das jetzt populär ist.
Die Liebe – der Mensch — die Revolution
Text : Hugo Ernst Käufer , Musik: Frank Baier
Einfach hinschreiben – Handeln
Langsam aussprechen – Helfen
Im Ohr behalten – Wollen
Nicht nachlassen – Tun
Liebe – die Mächtigen Frieden lehrt – ist Revolution
Revolution – die Schwachen Ängste nimmt – ist Liebe
Revolution – die Satten den Überfluß stiehlt – ist Liebe
Liebe – die Hungrigen Nahrung gibt – ist Revolution
Einfach hinschreiben – Handeln
Langsam aussprechen – Helfen
Im Ohr behalten – Wollen
Nicht nachlassen – Tun.
Die Liebe ‑ der Mensch – die Revolution .
von Frank Baier erzählt , – mit Auszügen aus dem Text von Armin Kerker :
„Hugo Ernst Käufer – Madagaskar und ein Gedicht“
( mit freundlicher Genehmigung, Frank Baier, Dieser Text erscheint 2016 in Bd. 14 des von Walter Gödden herausgegebenen Periodikums „Literatur in Westfalen“ im Aisthesis-Verlag, Bielefeld.)